Kerbtal
Lucas Fuchs
Ein Film braucht keine Moral, aber wenn dieser eine hätte, dann diese: Setze klare Prioritäten. Gib denen, die du liebst, Vorzug über Möglichkeiten, die dir das Leben bietet. Du kannst manchmal nicht beides bekommen.
Länge: 9 Minuten
Genre:
Mark (55) und Michael (58) sind alte Freunde. Sie kennen sich bereits aus der Schulzeit, wo sie ein Herz und eine Seele waren; seit sie erwachsen sind, treffen sie sich noch einmal im Jahr zum Bergwandern. Sie wissen es beide noch nicht, doch diesmal treffen sie sich zum letzten Mal. Michael fährt auf einer langgewundenen Straße gen Berge. Er scheint besorgt zu sein – abgelenkt vom Stress auf der Arbeit. Dort erwartet er dringende Neuigkeiten. Eigentlich passt ihm die Wanderung jetzt gerade gar nicht rein. Doch er ist jemand, der seine Versprechen hält. Michael ist Inhaber einer Kreativagentur, er ist Kaufmann und hat seinen bisherigen Weg ziemlich geradlinig durchgezogen. Was man von Mark eher nicht behaupten kann. Dieser ist eher für seine impulsive Art bekannt, ehrlich – ja, cholerisch leider auch manchmal. Beide necken sich etwas auf ihre ruppig-freundschaftliche Art und Weise, Michael erwähnt den Kilimandscharo.- Kilimandscharo: Da wollte Mark schon immer hin. Mark, dessen Vater ein berühmter Kletterer war, stand immer in dessen Schatten. Er hätte sich immer gewünscht, dieser wäre stolz auf ihn gewesen. Irgendwann hat Mark den Entschluss getroffen, den Kilimandscharo zu besteigen. Es wurmt ihn, dass sein Freund offenbar nicht mit will und ihn für sein Ziel etwas belächelt.
Mark eröffnet Michael schließlich, dass er „hingeschmissen“ hat. Michael traut seinen Ohren nicht. Klar, Mark ist schon öfter mal mit seinen Arbeitgebern in einem schlechten Verhältnis auseinandergegangen. Doch dass er auf seine alten Tage noch einmal rebellisch wird, findet Michael unglaublich. Mark sollte sich lieber endlich mal eine solide Grundlage aufbauen. Als Mark ihm erzählt, er wolle Bergführer werden, eskaliert das Gespräch zu einem kurzen Streit.
Michael weist Marks Flausen im Kopf als absurd zurück und spricht sein Misstrauen offen aus. In aufgeheizter Stimmung vor einem Wegweiser angekommen, streiten sich die Beiden um den richtigen Weg. Michael will den wortwörtlich rechten, offiziell gekennzeichneten Weg nehmen. Mark ist abenteuerlustig und streitet für den kürzeren, aber gefährlicheren. Michael setzt seinen Willen durch und zwingt Mark seinen Willen auf.
Die Beiden sind heftig am Streiten. Was Michael befürchtet hatte, ist eingetroffen. Ein wichtiger Anruf aus der Arbeit, er muss sofort mit einem großen Marketingchef ein Verkaufsgespräch führen. Es geht um den größten Pitch seit Jahren.
Michael wird klar, dass er die Wanderung niemals hätte eingehen sollen. Er lässt seinen Freund im Stich – und kehrt alleine um…
Regiekommentar
Die beiden alten Freunde Mark und Michael verlieren sich – endgültig – bei einer Bergwanderung. Am letzten Gipfel lässt Michael Mark im Stich und macht sich so mitschuldig an Marks Tod. Braucht es eigentlich ein weiteres Bergdrama? Noch dazu eines, welches den Tod einer der Wanderer quasi offen lässt und überhaupt nicht zeigt? Wohl kaum.
Jedoch liegt das Drama bei unserer Geschichte nicht in der Art wie Mark stirbt. Vielmehr liegt es in der Spannung zwischen den zwei Charakteren. Mark sucht mehr Nähe und Anerkennung bei seinem Freund, welche er nicht bekommt.
Michael ist gerade in einer anderen Welt und von seiner Karriere abgelenkt. Er würde Mark gerne bekehren, endlich „erwachsener“ machen und er hat durchaus nachvollziehbare und auch gute Gründe für sein Verhalten.
Marks Tod ist somit das unüberwindbare Tal für Michael; das Ungesagte kann nicht mehr gesagt werden; was man nicht getan hat, lässt sich nicht nachholen. Die Gefühle, die mit dieser Erkenntnis einhergehen, kennt jeder, der schon einmal einen Freund oder engen Verwandten verloren hat. Die große Schuld, die Michael auf sich zieht, indem er zu einer solch wichtigen Zeit geht, und die verstärkt wird durch die Sinnlosigkeit seiner Abkehr (das wichtige Arbeitsgespräch, auf das er die ganze Zeit hindenkt, platzt letztlich) – führt zu einem beißend schlechten Gewissen, mit welchem Michael einfach nicht mehr klar kommt. Um mit seiner Schuld umzugehen, führt Michael zu Ende, was sie zu zweit nicht geschafft haben und erklimmt den Gipfel – für Mark. Ein Film braucht keine Moral, aber wenn dieser eine hätte, dann diese: Setze klare Prioritäten. Gib denen, die du liebst, Vorzug über Möglichkeiten, die dir das Leben bietet. Du kannst manchmal nicht beides bekommen.
Bundesfestival junger Film 2018
vom 07. bis 10.06.2018
Stabliste
Regie: Lucas Fuchs
Produktion: lichtschreiber GbR
Drehbuch: Lisa Sämann, Katharina Reichvilser, Lucas Fuchs, Thomas Lehmann
Bildgestaltung: Dhana Sauernheimer
Sound: Armin Becher, Stephan Ernst
Ausstattung: Florian Störig
Editing: Lucas Fuchs
Biographie
Lucas Fuchs wurde 1989 in Rennes, Frankreich geboren. Nach seinem Abitur 2009, einer abgeschlossenen Ausbildung als Mediengestalter Bild & Ton im Jahr 2013 und der Aufnahme einer selbstständigen Tätigkeit als Filmemacher absolvierte Lucas ein Designstudium an der TH Georg-Simon-Ohm in Nürnberg.